Foto: WDR / Menschen bei Maischberger
… und was ich dort alles gern erzählt hätte.
Sandra Maischberger hatte uns in der Vorbesprechung gewarnt: “Auf jeden Fall werden Sie alle am Ende denken, die Sendung war zu kurz und es ist nicht alles wichtige zur Sprache gekommen.” Ja. Das kann man wohl sagen.
Natürlich ist meine Biographie unterhaltsamer als unsere politischen Forderungen. Diplom-Physikerin (in einem früheren Leben), Hure aus Überzeugung (seit über zwanzig Jahren), mit Spaß an der Arbeit (meistens). Eigentlich ist es aber völlig egal, ob ich mit meinen Gästen Orgasmen habe, eine Ex-Kollegin dagegen ihre Sex-Käufer irgendwann nicht mehr riechen konnte – wäre Selbstverwirklichung im Beruf eine Voraussetzung für Arbeitsrechte, hätten Callcenter-Mitarbeiter ein ziemliches Problem. Ich freue mich wirklich über die netten Mails von Menschen, die mich völlig faszinierend finden. Noch lieber wär’s mir aber, wenn ich nicht als schillernde Exotin dargestellt und wahrgenommen würde, sondern als eine von unzähligen Sexarbeiterinnen, die einfach nur in Ruhe ihren Job machen wollen.
Ja, es gibt Probleme in der Sexbranche. Und ja, das sind auch die, die in den letzten Monaten und Jahren in den Medien dargestellt wurden: Schlechte Arbeitsbedingungen, hoher Konkurrenzdruck, mangelhafte soziale Absicherung, Arbeitsausbeutung, Gewalt durch Zuhälter und Kunden, ungebremster Kapitalismus. Es gibt Menschen, die aus diversen Gründen in der Sexarbeit kreuzunglücklich sind. Aber: Es gibt keinerlei belastbare Studien oder Zahlen zur Arbeitszufriedenheit von Sexarbeiter_innen. Die Bundesregierung plant auch keine solchen Studien durchzuführen. Sämtliche der derzeit kursierenden 90%-Behauptungen sind frei erfunden. Viele der Missstände sind absolut nicht auf unsere Branche beschränkt, sondern ein grundsätzliches, häufig sogar gesamteuropäisches Phänomen und nicht durch eine Bordell-Regulierung zu lösen. Und es gibt noch ganz andere Probleme, über die so gut wie gar nicht gesprochen wird: Gesellschaftliche Stigmatisierung (durch die sich auch Gewalttäter legitimiert fühlen), Kriminalisierung, diskriminierende Behandlung durch Polizei und andere Behörden. Welche dieser Punkte schwerer wiegen, hängt ganz davon ab, wen man fragt. Ich persönlich habe im Laufe meiner Karriere mehr Frauen kennengelernt, die durch Staatsgewalt traumatisiert wurden als durch übergriffige Kunden. Und übrigens in den ganzen zwanzig Jahren kein einziges der angeblich in der Sexbranche so zahlreichen Menschenhandelsopfer. Dazu musste ich erst politisch aktiv werden und entsprechende Gerichtsprozesse begleiten.
Die derzeitigen politischen Bestrebungen gehen in bezug auf alle der genannten Punkte leider völlig in die falsche Richtung. Sie sind getrieben vom Geist einer Kramp-Karrenbauer, die Sexarbeit aufgrund persönlicher Befindlichkeiten am liebsten ganz verbieten würde, und, solange das nicht machbar ist, die Hürden so hoch wie möglich legen will. Klar, zur Abschreckung und Prostitutionsverhinderung sind polizeiliche Hurenkarteien, Bordell-Razzien, Sperrbezirke, Zwangsuntersuchungen, Altersbeschränkungen für Sexworker und Konzessionen mit willkürlichen Betriebsauflagen für Bordellinhaber bestens geeignet. Das aber gleichzeitig als “Prostituiertenschutz” zu verkaufen, ist so zynisch, dass mir schlecht wird. “Für Leute wie Sie sind solche Gesetze ja gar nicht gemacht”, muss ich mir dann gern anhören. Ach nein? Die Gangbang-Parties, die ich frequentiere, werden dann also im Gegensatz zu allen anderen nicht verboten, ich muss mich nicht bei der Polizei melden und werde dann bei Straßenverkehrskontrollen nach einem Blick in die Datenbank vor meinem Beifahrer geoutet, und mich wie früher zu Zeiten des Bockscheins in Handschellen auf den Gynstuhl zerren lassen muss ich mich auch nicht – weil ich so super selbstbewusst und damit die große Ausnahme bin? Ach. Doch, wenn das durchkommt, gelten die Gesetze natürlich auch für mich. Aber das Opfer sollte ich dann schon bringen, um die unzähligen (oder doch eher ungezählten?) südosteuropäischen Zwangsprostituierten zu retten, die es im Gegensatz zu mir natürlich total klasse finden, durch Sperrbezirksverordnungen vertrieben zu werden (oder bei Verstoß dagegen im Knast zu landen), bei Bordellschließungen ihren Arbeitsplatz zu verlieren und in den wenigen verbleibenden Betrieben dann die doppelte Miete zahlen zu dürfen, kontrolliert, registriert und kriminalisiert zu werden. Sorry, ich lasse mich nicht gegen meine Kolleg_innen ausspielen. Dazu ist mein Huren-Netzwerk zu groß, zu bunt und zu international.
Was absurderweise völlig ignoriert wird, ist die Tatsache, dass es bei der ganzen Debatte um erwachsene, mündige Menschen geht, Subjekte mit Handlungsmacht, und zwar völlig egal, welche ihre Muttersprache ist oder ihr Bildungshintergrund und aus welcher Motivation sie in welchem Teil der Welt ihren Beruf ausüben. Wenn ich einen anderen Menschen wirklich unterstützen möchte, dann gehe ich erst einmal davon aus, dass der oder diejenige besser weiss, was für ihn oder sie gut ist als ich. Ich kann Informationen anbieten, die mein Gegenüber prüfen und auf deren Grundlage sie ihre eigenen Entscheidungen treffen kann. Ich versuche, dazu beizutragen, dass sich die Optionen desjenigen erweitern, dem ich helfen will. Ich verbiete keine bestimmte Form zu leben oder zu arbeiten, weil ich die persönlich für inakzeptabel halte, sondern ich sorge dafür, dass Alternativen und Vielfalt geschaffen und erhalten werden, teile Wissen über Vor- und Nachteile und Wahlmöglichkeiten. Und dann glaube ich meinem Gegenüber, wenn es sagt: Das ist unter den gegebenen Umständen derzeit für mich die beste Wahl.
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der niemand Dinge für Geld tun muss, die ihm oder ihr gegen den Strich gehen. Ich wünsche mir, dass Menschen sich in ihrem Beruf, der meist einen großten Teil ihres Lebens ausfüllt, selbst verwirklichen können. Manche von uns tun das in der Sexarbeit. Und dass das leider oft auch nicht der Fall ist, ist weder der Sexarbeit inhärent, noch auf diese beschränkt oder innerhalb einer einzelnen Branche zu lösen.
Was wir wirklich brauchen, ist eine gesellschaftliche Anerkennung von Sexarbeit als legitime Berufswahl. Voraussetzung dafür ist eine konsequente Entkriminalisierung, allem voran die Abschaffung der unsäglichen, diskriminierenden Sperrbezirke. Keine Rückabwicklung des Prostitutionsgesetzes von 2002, sondern endlich eine flächendeckende Umsetzung in allen Bundesländern und Kommunen. Wirksame Anti-Diskriminierungsmaßnahmen. Ausbau fundierter Beratungs- und Professionalisierungsangebote für Sexworker, und zwar sowohl als Entscheidungshilfe zum Einstieg (was übrigens erfahrungsgemäß etwa zwei Drittel der Interessent_innen von der Sexarbeit abhält), berufsbegleitend, und ggf. später zur Umorientierung in andere Berufe. Soziale Gerechtigkeit und Alternativen, damit Menschen nicht in der Sexarbeit landen, die dort wirklich nichts verloren haben. Rechte und Empowerment statt Bevormundung angeblich ach so hilfloser Opfer der Umstände.
Ich mag nicht urteilen, ob die Sendung am Dienstag wirklich zu kurz war, oder ob man nicht einfach einen sinnvolleren Schwerpunkt hätte setzen können und sollen. Die Welt moniert, dass Frau Kramp-Karrenbauer “so ein bisschen der politische Gegenpart fehlte”. Ich wäre absolut fähig und willens gewesen, diesen Beitrag als Vertreterin der politischen Hurenbewegung zu leisten. Aber das war offenbar in Konzept und Moderation der Sendung nicht gewünscht.
Nichts desto weniger bin ich mir nicht zu schade, den Ansturm auf meine Website nach einem so öffentlichen Auftritt dafür zu nutzen, die Dinge in die Welt zu tragen, die ich für sinnvoll und wichtig halte. Zum Beispiel
die Forderungen des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD),
unsere Antwort auf die Pläne der Koalition, und, ganz aktuell,
Möge es nützen!